ZIVILLUFTFAHRT
AIRLINES
Damit die Zeit im Flug vergeht
Von Herbert Schmell, 24. September 1999

Produktion
Bordunterhaltung auf Langstreckenflügen:
Bald ist soviel möglich, dass die Wahl zur Qual wird


14 Flugstunden nonstop – wie hält man da bloss die Passagiere bei Laune? Die Elektronik macht’s möglich. Unter Airlines läuft ein eigentlicher Wettbewerb um die beste Unterhaltung an Bord.

Was in den sechziger Jahren mit Filmprojektor und Leinwand begann, hat sich zu individuellen PCs und Touch Screens entwickelt. Passagiere haben heute ein eigentliches Unterhaltungszentrum unter ihren Fingerspitzen. Sie wählen aus 15 oder 20 Filmen in mehreren Sprachen, erhalten zahlreiche Informationen über Flug und Zielorte, können ihrem Spieltrieb fast wie im Kasino frönen und Musik in CD-Qualität geniessen.

Unter den Airlines findet ein hartes Ringen um die vorderen Plätze statt. Mittel werden selbst bei knappen Kassen bewilligt, die Angst, im Abseits zu landen, ist offenbar gross. Will dies der Kunde eigentlich alles? Ganz genau scheinen es auch die Produktstrategen nicht zu wissen. Um vorne dabeizusein, müssen die Entscheide so rasch gefällt werden, dass für gründliche Abklärungen keine Zeit bleibt.

Viel Einsatz für Spitzenplätze
Das Rennen um Spitzenplätze ist nicht nur eine finanzielle Frage, sondern es erfordert auch beträchtliches Know-how. Wer das Neueste will, kann es nicht von der Stange kaufen, sondern muss zusammen mit einem Anbieter Grundlagenarbeit leisten. Swissair beispielsweise hat dies mit der Firma Interactive Flight Technologies (IFT) leidvoll erfahren. Nur weil die Schweizer ihre ganze Erfahrung einbrachten, lief das System bis letzten Herbst zuverlässig. Stolz war man vor allem darauf, dass man mit IFT führend bei den grossen Bildschirmen und bei «Video on demand» war. Jeder Passagier konnte seinen Wunschfilm dann sehen, wann er wollte und ihn zum Beispiel auch unterbrechen.

In der Folge des Unfalls einer MD-11 in Halifax schaltete Swissair von sich aus das System ab. Bis heute wurde kein Zusammenhang des Absturzes mit dem Unterhaltungssystem festgestellt. Ob und wann es allenfalls wieder in Betrieb genommen wird, ist offen. Vorläufig sind die MD-11 und Boeing 747 der Swissair ins Zeitalter der Leinwandprojektion und Bildschirmen an der Decke zurückgeworfen. In ihren neuen Airbus A330 verwendet Swissair das Unterhaltungssystem von Matsushita, wie auch die Partner Sabena und AUA. Der Wermutstropfen: Matsushita stellt erst für nächstes Jahr ein verbessertes System in Aussicht, das «Video on demand», beinhaltet; das heisst, erst dann kann die Startzeit eines Films individuell beeinflusst werden.

Das grosse Plus der modernsten Systeme ist die Interaktivität. Der Aufwand dafür ist gross. Bei jeder Sitzgruppe befindet sich ein mit dem Hauptspeicher vernetzter Computer, auf den die gewünschten Videos und Spiele geladen und einzeln gesteuert werden können. Vor allem das Gewicht der Geräte bereitet den Airlines Magenschmerzen. Denn auf eineinhalb bis zwei Tonnen summiert sich das allemal. Will man die Reichweite des Flugzeugs beibehalten, bleibt nur die Reduktion der Frachtmenge. Und dies tut angesichts der schmalen Ertragslage im Zivilluftverkehr weh. Kein Wunder, dass manche Fluggesellschaft hier noch zögert und wartet, bis Bordunterhaltung berechenbarer wird.




   
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